Im Alter wächst das Depressions-Risiko erheblich: Inklusive leichterer Verstimmungen sind schätzungsweise 10 bis 20 Prozent aller Rentner über 65 betroffen. Doch nur ca. 20 Prozent von ihnen werden der Erkrankung entsprechend behandelt.  

Wer im Alter an Depressionen erkrankt, der sucht oft vergebens fundierte Hilfe: Experten gehen davon aus, dass höchstens 20 Prozent der Betroffenen dem Krankheitsbild entsprechend behandelt werden. Der Grund dafür: „Neben den typischen psychischen Beschwerden treten oftmals körperliche Symptome in den Vordergrund – beispielsweise Rückenschmerzen, Herzrhythmusstörungen oder Schwindel“, erläutert Dr. Andreas Hagemann, Ärztlicher Direktor der psychosomatischen Privatklinik Merbeck.  „Aber auch hinter Magen- und Darmbeschwerden oder anderen körperlichen Funktionsstörungen kann sich eine psychische Belastung verbergen“, so der Facharzt für Psychiatrie und Psychotherapie weiter. „Vielfach werden diese Beschwerden medizinisch falsch interpretiert als sogenannte „typische Alterserscheinung“ – und dementsprechend unzureichend behandelt.“  

Hauptsymptom einer Altersdepression sind eine gedrückte Stimmung, Antriebsverlust, Hoffnungslosigkeit und Trauer. „Typisch sind aber auch Störungen der sogenannten kognitiven Fähigkeiten wie etwa der Konzentrations- und Merkfähigkeit, wodurch häufig eine Demenz als Ursache vermutet wird“, weiß Dr. Hagemann aus jahrelanger Praxis. Oftmals handelt es sich jedoch um eine sogenannte „Pseudodemenz“. „Der Unterschied ist, vereinfacht dargestellt, dass bei einer „echten Demenz“ das Archiv, in welchem das Wissen abgelegt wird, kaputt geht und bei einer sogenannten Pseudodemenz auf das Wissen nicht aktiv zugegriffen werden kann“, erklärt der Experte.  

Wege aus der Isolation 

Experten schätzen, dass ca. 10 bis 20 Prozent aller Rentner über 65 von einer Depression betroffen sind (inklusive leichterer depressiver Verstimmungen). Demgegenüber liegt die Quote in der Gesamtbevölkerung bei etwa fünf bis zehn Prozent. Unterschiede gibt es nicht nur in der Häufigkeit der Erkrankung, sondern auch bei den auslösenden Momenten: Während bei jüngeren Menschen vielfach Probleme im Job eine psychische Krise auslösen, sind das bei   älteren Menschen primär Gesundheitsproblemen, körperliche Beschwerden oder Einsamkeit (etwa durch den Tod des Lebenspartners oder naher Freunde). In der täglichen Konfrontation mit Krankheit, Verlust und Isolation sehen Experten denn auch eine Haupt-Ursache für das wachsende Suizidrisiko im Alter.  

Doch Wege aus der Isolation zu finden, ist schwierig: Freunde und Verwandte sind häufig bereits gestorben oder gebrechlich. „Spezielle Angebote wie Seniorencafés oder ähnliches werden oft abgelehnt, da es eine große Überwindung bedeutet sich auf Neues einzustellen und sich gebrechlich/krank zu zeigen“, berichtet Dr. Hagemann. „Dennoch sollte gerade von Angehörigen oder Freunden, falls vorhanden, der Versuch unternommen werden, depressive Menschen hierzu zu ermutigen“, rät der Facharzt eindringlich. Sind Treffen vor Ort nicht mehr möglich, so lassen sich positive Kontakte notfalls auch per Telefon oder Skype pflegen. „Diese haben stabilisierende Wirkung und lenken uns ab von unseren Sorgen – insbesondere in diesen schwierigen Zeiten.“  

Psychopharmakotherapie hilft 

Bei allen Depressionserkrankungen ist eine fachgerechte professionelle Behandlung generationsübergreifend das A und O. „Bei leichteren Depressionen genügt oftmals bereits eine Psychotherapie“, betont Dr. Hagemann. „Bei mittleren bis schweren Beschwerden hat sich auch bei älteren Menschen die Kombination aus Psychotherapie und Antidepressiva bewährt. „In der Regel lässt sich mit Hilfe der Psychopharmakotherapie eine spürbare Besserung erreichen“, versichert der Experte. Lebensfreude und psychische Stabilität nehmen wieder zu. „Aufgrund der häufig im Alter bereits bestehenden Einschränkungen sind jedoch besondere Kenntnisse von Wechselwirkungen und Risiken einer Psychopharmakotherapie erforderlich“, betont Hagemann. 

Entspannungs- und Meditationskurse sollten ebenfalls zum festen Bestandteil jeder Behandlung gehören. Denn „vielfach leiden depressive Menschen unter innerer Unruhe sowie massiven körperlichen und seelischen Anspannungen“, führt der Facharzt aus. „Besonders bewährt haben sich hierbei die Progressive Muskelrelaxation sowie Autogenes Training.“ 

Das steigert den Therapie-Erfolg  

Hilfreich und vorbeugend wirken Sport (falls möglich) bzw. regelmäßige Bewegung. Selbst im fortgeschrittenen Alter steht beispielsweise einer Wanderung durch den Herbst- oder Winterwald nichts im Wege. Schon eine kurze Strecke fördert die Durchblutung bestimmter Gehirnregionen um bis zu einem Drittel, haben Experten errechnet. Zudem führt die bessere Durchblutung zu einer höheren Ausschüttung von Endorphinen, was Stimmung und Glücksempfinden zu Gute kommt. Neben der Bewegung ist hierbei auch die Sonneneinstrahlung förderlich und die ätherischen Öle in der Waldluft wirken beruhigend und entspannend. Sollten das Wetter oder körperliche Beschwerden dies verhindern, so besteht – insbesondere bei saisonalen Depressionen – die Möglichkeit, mit speziellen Lichttherapielampen oder aromatherapeutisch etwas nachzuhelfen. 

Wann sollte der Arzt konsultiert werden?  

„Um eine Chronifizierung zu vermeiden, sollte grundsätzlich bei länger als zwei oder drei Wochen andauernden Depressionen der Hausarzt aufgesucht werden“, rät Dr. Hagemann. Dieser kann beurteilen, ob psychiatrische oder psychotherapeutische Hilfe erforderlich ist – und ob es sich bei der Erkrankung wirklich um eine Depression oder eventuell „nur“ um eine Verstimmung handelt.