So finden Sie auch in schweren Zeiten leichter Wege aus der gedanklichen Negativ-Spirale. 

Corona, Ukraine, Preissteigerungen und Inflation – eine Katastrophe reiht sich an die andere und lässt nicht nur Pessimisten verzweifeln und auf trübe Gedanken kommen.  Doch oft sind es auch die kleinen alltäglichen Dinge, die uns permanent „Kopfschmerzen und Kopfzerbrechen“ bereiten – uns gedanklich quälen, behindern und frustrieren: „Manche Menschen neigen dazu, in vielen Dingen vor allem das Schlechte zu sehen. Diese Denkmuster sind oft schon im Kindesalter erlernt und laufen scheinbar ohne unser Zutun ab. Da uns dieser Automatismus in der Regel nicht bewusst ist, ist er auch so schwer zu verändern,“ weiß Dr. Andreas Hagemann, Ärztlicher Direktor der Privatklinik Merbeck sowie der Röher Parkklinik in Eschweiler. „Aber auch erbliche Veranlagung und Lebenserfahrung spielen bei negativen Glaubenssätzen, dem sogenannten negativen Mindset, eine nicht zu unterschätzende Rolle.“ 

Negative Gedanken gehören zum Leben dazu. Sie helfen uns Risiken abzuwägen und „richtige Entscheidungen“ zu treffen. „Problematisch wird es jedoch, wenn diese tagelang anhalten, mehr und mehr das Leben bestimmen und unseren Blickwinkel zunehmend einengen“, erläutert der Facharzt für Psychiatrie und Psychotherapie. Denn: „Wer sehr auf Negatives fokussiert ist und permanent grübelt, der nimmt das Positive im Alltag kaum noch wahr“, sagt der Experte. Es entsteht ein Gefühl der Hoffnungslosigkeit, der Aussichtslosigkeit und des Ausgeliefertseins – nicht selten verbunden mit Ängsten und Selbstzweifeln. „Dies kann erheblichen körperlichen Stress auslösen und physisch und psychisch krank machen“, warnt Dr. Hagemann. Depressionen, Schlafstörungen und Schwindel oder chronische Kopfschmerzen sind nur einige der typischen Folge-Symptome.   

Wann sollte ich zum Arzt gehen? 

„Lassen mich meine negativen Gedanken nicht mehr los, beeinträchtigen sie mein Leben bzw. meine Lebensqualität, so ist es ratsam, einen Psychotherapeuten oder Psychiater zu Rate zu ziehen“, betont Dr. Hagemann. Dieser erforscht gemeinsam mit dem Patienten Gründe für dessen negatives Gedankenkarussell und entwickelt mit dem Betroffenen Strategien, belastende Gedanken zu erkennen und zu verändern bzw. zu akzeptieren und die damit verbundenen Einschränkungen zu reduzieren.   

Bei der Behandlung gibt es unterschiedliche Herangehensweisen:  

In der Verhaltenstherapie geht es in erster Linie darum die negativen Gedanken zu identifizieren, sich von ihnen zu lösen und durch andere gedankliche Akzente, die ich als hilfreich und positiv empfinde, zu ersetzen. Dabei hilft es, statt lähmender Negativ-Glaubenssätze (wie etwa „Ich kann das nicht“) sich selbst kurze bejahende Suggestiv-Aussagen zu suchen: „Ich schaffe das“ oder „Ich liebe Herausforderungen“ motivieren und geben uns Selbstvertrauen. Der Psychiater bezeichnet diese persönlichen „Leitmotive“ als positive Affirmationen (lat. Bejahung, Versicherung). 

Bei der  tiefenpsychologisch fundierten Psychotherapie geht es darum, herauszufinden, welche Ursachen es in der Biografie des Patienten für  die heutigen dysfunktionalen Denk- und Verhaltensweisen gibt. „Hintergrund ist die Annahme, dass in der Vergangenheit die Notwendigkeit zur Entwicklung dieser negativen Annahmen bestand und diese nicht dysfunktional, sondern   hilfreich waren,“ berichtet Dr. Hagemann. Und fügt ergänzend hinzu: „Bestätigt sich immer wieder die Erfahrung „Erwarte das Schlimmste, dann bist du auf alles vorbereitet und es kann nur besser werden“, so verselbständigen sich diese Denk- und Verhaltensweisen und es entwickeln sich negative Grundannahmen.“ Besteht die Notwendigkeit der negativen Annahmen nicht mehr (weil sich beispielsweise die Lebensumstände verändert haben), wird aus der funktionalen Reaktion ein dysfunktionales Muster. „Werden mir diese Zusammenhänge bewusst, kann ich den Teufelskreis aus Schlüsselreiz und unmittelbarem „Schwarzsehen“ durchbrechen“, versichert der Facharzt. „Dieses Verfahren ist zwar zeitaufwendiger, dafür kann ich aber durch das Erkennen verschiedener biographisch begründbarer Zusammenhänge und Automatismen auch in anderen Lebensbereichen profitieren.“   

Was hilft gegen negative Denkmuster?  

„Kleine Dinge können schon manches bewirken“, betont Dr. Hagemann. Bestes Beispiel dafür ist ein Glückstagebuch: „Dafür setzen Sie sich jeden Abend für ein paar Minuten hin und reflektieren, was Sie am Tag glücklich gemacht hat“, erklärt der Facharzt. „Das geht natürlich auch mit einem Partner, der mich ernst nimmt und mir eventuell auch seine „Glücksmomente“ mitteilt.“ Das können Kleinigkeiten sein, wie etwa ein leckerer Kaffee am Nachmittag, das nette Gespräch mit dem Kollegen oder der Nachbarin oder der prächtige Sonnenuntergang am Abend. Diese kleinen täglichen Highlights bringen Abwechslung und Freude ins tägliche Allerlei. „Hauptsache, es ist kein Pflicht-Akt, den ich schnell abhake“, betont Dr. Hagemann.  

Wichtig ist es, die kleinen Glücksmomente auch erkennen und mit Freude annehmen zu können: „Wenn ich mich trainiere, sie zu bemerken, werde ich immer wieder Momente von Glück erleben – selbst in den momentan wenig beglückenden Zeiten“, versichert der Experte. 

Auch Ablenkung kann hilfreich sein. Ob ein gutes Buch oder Sport – je mehr man sich darauf konzentriert bzw. darin „aufgeht“, desto leichter wird der Ausstieg aus dem bedrohlichen Gedanken-Karussell. Auch Meditation oder Entspannungs- und Atemübungen sind dabei förderlich. „Das Katastrophisieren in der Zukunft bleibt aus, da ich mich in diesem aktuellen Moment ganz in der Meditation befinde bzw. völlig auf die Entspannung/den Atem konzentriere“, betont Dr. Hagemann. „Für destruktive Gedanken, was alles passieren könnte, wenn dieses oder jenes passiert, bleibt kaum Raum.“ 

Gönnen Sie sich FLOW-Momente 

Besonders intensive Entspannung sichern FLOW-Momente. So bezeichnen Psychologen den erfüllenden Bewusstseinszustand, in dem jemand völlig in seiner Tätigkeit aufgeht:  Wir verschmelzen buchstäblich mit unserer Aufgabe und verlieren dabei oftmals jedes Gefühl für Zeit und Raum. Entgegen landläufiger Meinung führt in der Regel nicht das „Dolce Vita“, also das „süße Nichtstun“, zum Flow-Erlebnis. Vielmehr gelangen wir durch die Beschäftigung mit erfüllenden (Freizeit-)Aktivitäten in einen beglückenden mentalen Zustand tiefer Konzentration. Im Vordergrund steht nicht der kurzfristige Kick, sondern ein anhaltendes Glücksgefühl, das unser Leben bereichert und uns außerhalb der eigenen Komfortzone zu neuen Herausforderungen anspornt.  

Bei allem Tatendrang darf auch hin und wieder ruhig pure Langeweile aufkommen – „eigentlich ein extrem kreativer Zustand“, versichert Dr. Hagemann, solange die freien gedanklichen Kapazitäten nicht in katastrophisierenden Gedankenspiralen enden. 

Lenken Sie sich ab 

Immer wieder über dieselben, eventuell nicht zu ändernden Ärgernisse nachzudenken, führt höchstens zur Verzweiflung. „Versuchen Sie Ihren negativen Gedanken bestimmte Zeiten für eine „Sorgensprechstunde“ einzuräumen“, rät Dr. Hagemann.  Diese sollte aber besser nicht abends im Bett stattfinden – das fördert das Einschlafen nicht unbedingt. „Nehmen Sie dabei Ihre Negativ-Gedanken möglichst bewusst und neutral wahr und checken Sie, ob Ihre Befürchtungen und Negativ-Vorstellungen wirklich angemessen sind und mit der Realität übereinstimmen“, empfiehlt der Experte. Und machen Sie sich öfter bewusst: Wer negativ denkt, der bewertet Erfahrungen vielfach auch negativ.